Lucas Brenner » Artikel » Warum Produktivität nicht das Ziel sein sollte



Produktivität wird durch die Arbeitswelt und die Selbsthilfebranche immer mehr zum Selbstzweck. Diese Entwicklung ist negativ und schädlich für Arbeitsmoral und Arbeitsqualität. Die meisten viralen Routinen sind eigentlich unproduktiv.

Selbstverständlich sind Effizienz und Disziplin notwendig, um gute Arbeit zu leisten. Allerdings sollte Produktivität nicht das Ziel aller Anstrengungen sein. Außerdem funktioniert eigentlich nur ein Produktivitätstrick.

In diesem Artikel werde ich drei Grundsätze vorstellen, die die Produktivitätsbranche verschweigt und danach über drei bessere Ziele schreiben.

Die drei Grundsätze, die die Produktivitätsbranche verschweigen will

Man braucht die Techniken von Geschäftsleuten nicht, um produktiv zu sein

Wenn du auf YouTube nach dem Stichwort Produktivität suchst, wirst du hunderte Videos finden. Die meisten der in den Videos vorgestellten Techniken tragen einprägsame Akronyme als Namen und versprechen eine Steigerung der Effizienz, wenn man sie anwendet.

Ich habe nichts gegen mentale Modelle, die wie beispielsweise das Pareto-Prinzip anwendungsorientiert und hilfreich sein können. Aber ich habe etwas dagegen, Grundlagen zu verkomplizieren.

Selbsthilfebücher und Produktivitätsvideos üben auf manche Menschen (mich eingeschlossen) eine Anziehungskraft aus. Man fühlt sich durch den Konsum dieser Inhalte produktiver – aber diese Empfindung ist trügerisch. In Wahrheit verschwendet man seine Zeit.

Es reicht meiner Meinung nach vollkommen, die Grundlagen über Effizienz und Produktivität zu lernen und es dabei zu belassen. Der Rest ist nur eine Art Remix dieser Grundlagenforschung.

Wenn ich dur nur drei Bücher über Produktivität empfehlen könnte, dann wären das „Die 1%-Methode“ von James Clear, „Wie ich die Dinge geregelt kriege“ von David Allen und „Digitaler Minimalismus“ von Cal Newport.

Prokrastination ist nicht so teuflisch wie sie dargestellt wird

Wenn alle Produktivitätsbücher eins gemeinsam haben, dann die Verteuflung der Prokrastination. Wie du dir denken kannst, steckt in diesen Aussagen ein großes Körnchen Wahrheit. Allerdings ist auch „verschwendete“ Zeit wichtig!

Zuerst stellt sich die Frage, wie man verschwendete Zeit überhaupt definiert. Bei mir ist der Eindruck entstanden, dass die Zeit, die ich nicht arbeite oder etwas „Produktives“ tue, vertan ist. Daher hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir YouTube-Videos oder Filme angeschaut habe.

Diese Zeit ist aber nicht verschwendet, da du deinem Unterbewusstsein die Möglichkeit gibst, über ein Problem nachzudenken und an einer Lösung zu arbeiten.

Pausen und Ablenkung machen kreativ!

Einfachheit siegt

Ich behaupte, dass komplexe Systeme zur Produktivitätssteigerung nicht zielführend sind. Eine Notion-Startseite mit 300 Unterseiten, abgestimmter Farbgebung und dreizehn Fonts mag auf YouTube ästhetisch und produktiv erscheinen. Aber eigentlich ist sie völlig unnötig.

Ästhetik spielt zwar eine Rolle, wenn man sich in seiner Arbeitsumgebung wohl fühlen möchte, aber genauso sind Bedienungsfreundlichkeit und ressourcensparendes Arbeiten ein Faktor. In den meisten Fällen rentieren sich die vielen Stunden nicht, die du in die Erstellung und Pflege eines solchen Systems investieren müsstest.

Mache es dir einfach und erlaube dir, ein schlankes System für sich zu etablieren. Ein auf jeden Menschen passendes System, das du durch ein YouTube-Video lernen könntest, gibt es sowieso nicht.

Sammele aus Quellen Inspirationen und Teilstücke und füge diese zu einem individuellen System zusammen.

Drei bessere Ziele als Produktivität

Achtsamkeit

Ein Leben, in dem du präsent und im Hier und Jetzt bist, ist meiner Meinung nach erstrebenswerter als ein durchgeplantes, auf die Zukunft fixiertes Leben. Achte darauf, wohin du deine Aufmerksamkeit lenkst.

Genieße den Moment, statt sich darum zu sorgen, ob das, was du gerade tust, produktiv ist oder wie du die nächste Woche am besten planst.

Ich bin selbst nicht vor diesem Fallstrick gefeit und erwische mich oft dabei, wie ich mir Gedanken über die Zukunft mache. Dann versuche ich mich in die Gegenwart zurückzuholen und mich auf meinen Atem zu konzentrieren.

Wie du merkst, ist auch das eine Gratwanderung: Machst du dir zu wenige Gedanken, wie du deine Zeit verbringst, wirst du keine Arbeit schaffen. Machst du dir aber zu viele Gedanken, verschwindest du im Schwarzen Loch der Produktivität.

Zufriedenheit

Was bringt es dir, dass du dein Leben lang jeden Termin wahrgenommen, jede Deadline erreicht und jedes Projekt mit Bravour abgeschlossen haben, wenn du trotzdem unzufrieden stirbst? Du wirst trotzdem das Gefühl haben, weiterarbeiten zu müssen.

Diese Frage wirkt vielleicht etwas seltsam, weil man in unserer Gesellschaft nicht über den (eigenen) Tod spricht. Die Erkenntnis, dass das Leben ein Ende hat, setzt jedoch viele Dinge in die richtige Perspektive. Memento mori.

Am Ende zählt Produktivität nicht oder zumindest nicht so viel, wie man vielleicht denkt. Zufriedenheit, Glück und das Gefühl von Bedeutung sind für die meisten Menschen, mich eingeschlossen, viel wichtiger.

Natürlich gehört Effizienz auch zum Leben dazu und verdient ihren Platz. Aber man muss aufpassen, dass sie nicht zu viel Raum einnimmt und andere Dinge verdrängt. Bronnie Ware hat ein sehr bekanntes Buch zu dieser Thematik geschrieben, das „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ heißt.

Ein erfülltes Leben

Letztendlich ist das endgültige Ziel eines jeden Menschen, ein erfülltes, glückliches und bedeutungsvolles Leben zu führen. Dieses Ziel lässt sich nicht wie die Produktivität auf Zahlen, Messungen oder Techniken herunterbrechen und ist daher auch schwieriger zu erreichen.

Und es lässt sich erst recht nicht mit Geld oder Berühmtheit erkaufen.


Aber es lohnt sich. Ich bin fest davon überzeugt, dass es mehr gibt als nur Effizienz. Und ich glaube, du glaubst das auch.

Produktivität gehört zum Leben dazu, aber eben nur bis zu einem gewissen Grad. Darüber hinaus ist sie Zeitverschwendung und verdrängt Aspekte wie die Beziehungen zu den Menschen, die man liebt.

Wie oft hast du schon eine für dich wichtige Person vernachlässigt, weil du im Stress warst und Arbeit zu tun hattest?

Sei produktiv – aber verliere nicht aus den Augen, warum du auf dieser Erde bist. Führe ein erfülltes Leben ohne jede „unproduktive“ Sekunde zu hinterfragen.