Lucas Brenner » Artikel » Charaktereigenschaften sind nicht gut oder schlecht



Gesellschaftlich sind einige Charaktereigenschaften angesehener als andere, weil sie als Stärken interpretiert werden. Beispielsweise schätzt die Gesellschaft einen mutigen Menschen mehr als einen vorsichtigen und zieht Strukturiertheit dem Chaos vor. Diese einseitige Bewertung von Charakterzügen ist nicht richtig. Ein übermäßig mutiger Mensch ist tollkühn. Zu viel Struktur verhindert Kreativität und führt zu Einschränkungen.

Eine Eigenschaft an sich ist weder gut, noch schlecht. Erst in Verbindung mit anderen Charakterzügen kann man eine Bewertung vornehmen. Das ist mit dem sogenannten Wertequadrat möglich, das ich in diesem Artikel vorstellen werde. Wenn du nach dieser Übung Werte gefunden hast, die du in dein Leben übernehmen möchtest, solltest du sie in persönlichen Leitsätzen festhalten.


Das Wertequadrat, das von dem Philosophen Nicolai Hartmann und dem Psychologen Paul Helwig entwickelt wurde, stellt die komplexen Beziehungen von Werten dar. Dadurch ist eine Bewertung der Eigenschaften möglich. Außerdem lassen sich Entwicklungspotentiale des eigenen Charakters feststellen. Das Wertequadrat lässt immer eine positive Bewertung zu und konzentriert sich nicht auf einzelne Werte, sondern auf die Beziehungen zwischen ihnen.

Das Wertequadrat besteht immer aus einem Wert und einem Gegenwert sowie den Übertreibungen dieser beiden Eigenschaften. Wenn man beispielsweise Mut betrachtet, wäre der Gegenwert Vorsicht und die Übertreibungen wären Tollkühnheit sowie Feigheit. Diese Eigenschaften kann man grafisch darstellen.


Wertequadrat mit den Charaktereigenschaften Mut, Vorsicht, Tollkühnheit und Feigheit
Wertequadrat mit den Charaktereigenschaften Mut, Vorsicht, Tollkühnheit und Feigheit

Die beiden Übertreibungen der Werte sind unerwünschte Eigenschaften. Der Wert und Gegenwert sind hingegen positive Eigenschaften, die aber in einem Gleichgewicht stehen müssen. Um eine gute Charaktereigenschaft zu haben, muss man also ein gewisses Maß an Mut haben (man bewegt sich von Mut in Richtung Tollkühnheit), das durch ein gewisses Maß an Vorsicht (man bewegt sich von Vorsicht in Richtung Feigheit) ausgeglichen werden muss. Insgesamt kommt man beim Stern, also in der Mitte der Grafik, heraus. Hier ist die optimale, wünschenswerte Eigenschaft, die genau in der Balance zwischen Mut und Vorsicht liegt. Mut ohne Vorsicht bedeutet Tollkühnheit, während Vorsicht ohne Mut Feigheit erzeugt. Der Mut muss von der Vorsicht ausbalanciert werden, um eine positive Wirkung zu erzeugen.

Das Wertequadrat lässt sich mit allen Werten füllen. Wenn man beispielsweise den Wert Sparsamkeit nimmt, wäre der Gegenwert Großzügigkeit und die Übertreibungen wären Geiz und Verschwendungssucht. Auch hier liegt das Entwicklungspotential im Mittelpunkt des Wertequadrats, wo die Werte im Gleichgewicht sind.


Mit dem Wertequadrat lassen sich Eigenschaften in Relation zueinander bewerten. Außerdem kann man seinen eigenen Charakter mit diesem Werkzeug weiterentwickeln. Durch Selbst- oder Fremdeinschätzung, zum Beispiel von Familie oder Freunden, vergibt man für jede der vier Eigenschaften des Wertequadrats einen Wert von 1 (nicht ausgeprägt) bis 10 (stark ausgeprägt). Wenn die Übertreibung eines Wertes stärker ausgeprägt ist als der jeweilige Wert selbst, sollte man handeln.

Das Wertequadrat zeigt dir Potentiale auf, die du nutzen kannst, um dich weiterzuentwickeln. Fülle es mit verschiedenen Werten, die dir wichtig sind, um zu überprüfen, ob und in welcher Form du sie in deinen Charakter integriert hast.