Lucas Brenner » Artikel » Soziale Medien zwingen uns nicht zur Einsamkeit



In den Medien wird heute viel über die sogenannte „Einsamkeitsepidemie“ gesprochen.[1] Es ist richtig, dass wir durch die Corona-Pandemie, den fortschreitenden und übermäßigen Konsum von Sozialen Medien oder durch eine ungesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit Gefahr laufen, den Kontakt zu Freunden oder Familie zu verlieren.

Allerdings gibt es auch viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die gegen eine Epidemie der Einsamkeit sprechen. In diesem Artikel möchte ich darlegen, warum die Darstellung einer solche explosive Ausbreitung übertrieben ist.

Einsamkeit ist subjektiv

Krankheitsdiagnosen haben die zentrale Eigenschaft, dass sie objektiv überprüfbar sind. Jede erforschte Krankheit kann über spezifische Eigenschaften definiert werden, zum Beispiel durch Symptome oder Antikörpertests.

Einsamkeit hingegen ist kein klares Krankheitsbild. Es ist keine „allgemeine“ Erkrankung, weil es ein subjektiver Gefühlszustand ist. Man kann sich inmitten einer großen Menschenmenge einsam fühlen – aber auch alleine zu Hause sein, ohne einsam zu sein. Einsamkeit äußert sich von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Alleinsein und sich einsam zu fühlen ist nicht dasselbe. Alleine ist man, wenn kein anderer Mensch in der Nähe ist. Einsam ist man hingegen, wenn die Qualität der eigenen sozialen Beziehungen unbefriedigend ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn je nachdem, wie intro- oder extrovertiert man ist, wird man häufiger oder seltener Kontakt zu anderen Menschen suchen.

Die Datenlage ist lückenhaft

In der Einsamkeitsforschung gibt es keine zuverlässigen Daten, die weit in die Vergangenheit reichen. Das ist ein Problem, wenn man langfristige Aussagen über Entwicklungstendenzen treffen möchte.

Außerdem ergab eine Untersuchung in der Schweiz, dass in den letzten 15 Jahren keine Zunahme der Einsamkeit erkennbar ist. Weitere Studien, die gleichaltrige Personen aus verschiedenen Generationen verglichen haben, kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

Einsamkeitsgefühle schwanken im Leben

Die Tendenz, sich einsam zu fühlen, unterliegt einem natürlichen Schwankungszyklus.

Jugendliche und junge Erwachsene sind häufiger einsam, weil sie ihren Beruf mit ihrer Familie und ihren Freunden unter einen Hut bringen müssen. Gerade als Berufsanfänger muss man häufig länger und härter arbeiten, um Karriere zu machen.

Je älter man wird, desto weniger soziale Beziehungen braucht man, um glücklich zu sein. Wenn sich ein Jugendlicher einsamer als seine Eltern fühlt, ist das also kein Beweis für eine Einsamkeitsepidemie, sondern liegt an den biologischen Veränderungen beim Altern.

Im höheren Alter fühlt man sich wieder häufiger einsam, wenn man nicht mehr mobil ist, krank wird oder nahestehende Personen sterben.

Natürlich spielt Technologie trotzdem eine Rolle

Es wäre falsch zu behaupten, dass moderne Technologien und besonders Social Media keinen Einfluss auf die Einsamkeit und die psychologische Gesundheit hätten. Besonders der Einfluss der Technik auf das mentale Wohlbefinden von Teenagern wird wissenschaftlich ausführlich erforscht.

Trotzdem ist es – nach der jetzigen Datenlage – übertrieben, von einer Epidemie der Einsamkeit zu sprechen. Auf der einen Seite sollte man keine Panik verbreiten, auf der anderen Seite sollte man selbstverständlich einsame Personen ernst nehmen und ihnen bestmöglich helfen.

Der wichtigste Tipp, den man in Zeiten von Instagram, SnapChat und Co. befolgen kann, ist, mit seiner Familie und seinen Freunden qualitativ hochwertige Zeit außerhalb der digitalen Medien zu verbringen.

Schau von deinem Bildschirm auf und erkenne die Schönheit der Momente, die du von Angesicht zu Angesicht mit geliebten Menschen verbringen darfst.



Fußnoten

[1] Wenn du dich einsam fühlst oder Hilfe brauchst, solltest du nicht zögern, eine Vertrauensperson in deinem Leben anzusprechen oder dich beispielsweise bei der Telefonseelsorge zu melden.