Lucas Brenner » Artikel » Die drei einfachen Prinzipien des Stoizismus



Während meiner Tagebuchroutine und meiner Jahresreflektion bin ich auf meine Notizen zu Stoizismus gestoßen. Stoizismus ist eine antike Philosophie, die als Anleitung für ein gutes Leben dienen soll. Antike Philosophen wie Epiktet, Seneca und Marcus Aurelius haben stoische Texte geschrieben. Stoizismus ist heute populärer als jemals zuvor, unter anderem wegen der Bücher von Ryan Holiday, und lässt sich einfach auf moderne Lebenssituationen übertragen.

Die stoische Philosophie beinhaltet drei einfache Grundprinzipien, die man in sein Leben integrieren sollte, um glücklicher, zufriedener und ein besserer Mitmensch zu werden. Die Einführung dieser Prinzipien ist keine Aufgabe, die man einfach abhaken kann. Selbst den berühmten antiken Stoikern war bewusst, dass man kontinuierlich an sich arbeiten muss, um ein gutes Leben zu führen. Die Prinzipien sind deswegen als Ideale zu verstehen, an die man sich schrittweise annähern sollte.

Dichotomie der Kontrolle

Das wohl zentralste stoische Prinzip lautet: Kontrolliere die Dinge, die du beeinflussen kannst, und mache dir keine Sorgen über die Dinge, die sich deiner Kontrolle entziehen. Stoiker*innen vertreten die Ansicht, dass alle Menschen letztendlich nur ihre eigenen Urteile über die Welt beeinflussen können.

Wenn man von jemandem beleidigt wird, wird man nicht von dessen Worten verletzt, sondern vom eigenen Urteil über diese Worte und der Ansicht, dass man nicht beleidigt werden dürfe. Wenn man dieses Urteil ablegt und sich stattdessen daran erinnert, dass alle Menschen von Zeit zu Zeit beleidigt werden und dass einem die Worte des Gegenübers nicht verletzen können, reagiert man nicht mehr negativ auf die Beleidigung.

Emotionale Reaktionen beziehen sich immer auf die eigenen Urteile und Interpretationen, nicht auf das Geschehene. Emotionen und Urteile sind nicht voneinander getrennt, sondern eng miteinander verbunden. Allen Emotionen liegen Urteile zugrunde, Emotionen haben also einen kognitiven Kern. Daher sollte man sicherstellen, dass die eigenen Urteile und Interpretationen wahr, also an der Realität ausgerichtet, sind.

Man muss trainieren, seine eigenen Urteile zu erkennen, statt direkt zu einer emotionalen Reaktion zu springen, um ein gutes Leben zu führen. Man sollte die Dinge so betrachten, wie sie wirklich sind, und nicht wie die Urteile sie im eigenen Kopf aussehen lassen. Wenn man zu einem negativen Ereignis noch negative Urteile addiert, multipliziert man das eigene Leiden nur unnötig.

Wenn du mehr über die Dichotomie der Kontrolle erfahren möchtest, habe ich dazu einen eigenen Artikel geschrieben.

Tugendhaft sein

Die höchste Tugend für Stoiker*innen ist die Rationalität, also die Ausrichtung der eigenen Urteile an der Realität. Korrekte Interpretationen über die Welt zu haben ist in der stoischen Philosophie das Einzige, das man braucht, um ein gutes Leben zu führen.

Die Lebensqualität hängt also von der Qualität der eigenen Gedanken ab. Daher sollte man seine Gedanken vor negativen Einflüssen und falschen Urteilen schützen, indem man die eigenen Interpretationen regelmäßig hinterfragt. In jedem Fall sollte man seine Urteile prüfen, bevor man emotional reagiert. Wenn das nächste Mal etwas scheinbar Negatives passiert, versuche darauf zu achten, warum du so fühlst. Glaubst du insgeheim, dass dieses Ereignis weitreichende Konsequenzen haben wird und dein Leben zerstört? Ist das wirklich wahr? Wahrscheinlich nicht, du solltest also deine Interpretation der Ereignisse anpassen und wirst erkennen, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst. Dadurch kannst du angemessener auf das Geschehene reagieren und tun, was nötig ist, statt dir überflüssige Sorgen zu machen.

Im Einklang mit Natur und Mitmenschen leben

Im Einklang mit der Natur zu leben besteht für Stoiker*innen aus zwei Dingen: Erstens muss man tugendhaft sein, also sicherstellen, dass die eigenen Urteile mit der Realität übereinstimmen, wie im letzten Abschnitt beschrieben. Zweitens muss man gut zu seinen Mitmenschen sein, da Menschen soziale Lebewesen sind. Stoiker*innen betrachten alle Menschen als Teile des Universums, die einen Funken Göttlichkeit besitzen.

Wer im Einklang mit der Natur und den Mitmenschen lebt, ist glücklicher und zufriedener. Zum einen interpretiert man die Ereignisse durch eine realistische, angemessene Linse und zum anderen pflegt man gute Beziehungen zu seinen Mitmenschen. Das führt dazu, dass man angemessene Erwartungen hat und sich durch negative Ereignisse nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt.

Kritik am Stoizismus

Einige Menschen verstehen Stoizismus falsch und denken, es ginge darum, seine Emotionen zu unterdrücken. Das Ziel des Stoizismus ist es aber nicht, stoisch im Sinne von gefühlskalt zu sein. Niemand kann seine Emotionen abschalten und ausschließlich rational denken. Moderne Studien zeigen sogar, dass ohne Emotionen keine Entscheidungsfindung möglich ist. Der Stoizismus vertritt die Ansicht, dass man seine Emotionen steuern kann, wenn man seine Urteile über die Umwelt aktiv auswählt und gegebenenfalls korrigiert. Es geht also nicht darum, zu einem Roboter zu werden, der keine Gefühle mehr hat, sondern seine Urteile und Interpretationen in Einklang mit der Realität zu bringen.

Neben philosophischen Debatten gibt es einen zentralen Kritikpunkt am Stoizismus, der weniger mit der Philosophie als solche zu tun hat, sondern sich viel mehr mit deren Vermittlung beschäftigt. Die antiken stoischen Autoren vertreten veraltete Wertevorstellungen über Frauen, Sklaven und Rollenbilder. Beispielsweise werden Frauen in einigen stoischen Werken als zuständig für Haushalt und Kinder beschrieben und einige Autoren rechtfertigen die Sklaverei. Leider ist die stoische Philosophie dadurch auch heute noch stark auf Männer ausgerichtet, da diese gerade von antiken Autoren direkt angesprochen werden, während Frauen die philosophischen Inhalte erst auf sich übertragen müssen. Das hat dazu geführt, dass Frauen einen schwierigeren Zugang zum Stoizismus haben und diese Philosophie für sie nicht so „anwendungsbereit“ ist. In der Gegenwart haben wir jedoch die Chance, das durch moderne Bücher und Inhalte zu ändern. Dieser Artikel trägt hoffentlich dazu bei.

Trotz dieser Kritikpunkte am Stoizismus ist diese Philosophie dennoch ein sehr nützliches Werkzeug, um im Alltag glücklicher zu sein und ein besseres Leben zu führen. Die Integration der Grundprinzipien ist zwar besonders am Anfang schwer, aber die Mühe lohnt sich! Mir hat der Stoizismus sehr dabei geholfen, mir weniger Stress und Sorgen zu machen, egal ob im Privaten, in der Uni oder im Berufsleben.