Warum Stoizismus bei der Lösung von Konflikten hilft

Konflikte sind unvermeidlich. Natürlich müssen wir versuchen, sie bestmöglich zu vermeiden – aber es ist sogar noch wichtiger, möglichst konstruktiv mit ihnen umzugehen.

Konflikte und Emotionen hängen eng miteinander zusammen. Der Stoizismus hilft uns, konstruktiv mit Konflikten und negativen Emotionen umzugehen. Die Kernbotschaft der stoischen Philosophie ist, dass wir nur unsere eigenen Urteile über die Welt kontrollieren können und deswegen alles andere, was außerhalb unseres Einflusses liegt, akzeptieren und lieben lernen müssen. Dazu zählen die Äußerungen unserer Mitmenschen genauso wie ihre Gefühle und Handlungen; daher ist der Stoizismus beim Konfliktmanagement sehr hilfreich.

Konflikte entstehen durch negative Interpretationen

Wir können das Verhalten anderer Menschen oder Dinge nicht beeinflussen, da wir nur unsere eigenen Handlungen und Urteile kontrollieren. Allerdings sind wir der Welt nicht schutzlos ausgeliefert. Unsere emotionalen Reaktionen beziehen sich nicht auf die Geschehnisse außerhalb unseres Einflussbereichs, sondern immer auf unsere Interpretationen der Welt, die wir selbst bestimmen können!

Das wohl eindrücklichste Beispiel dafür ist eine kurze Geschichte. Du sitzt in einer Bahn neben einem Vater mit seinen beiden Kindern, die sich laut streiten. Der Vater unternimmt nichts dagegen und es scheint ihm egal zu sein, dass andere Fahrgäste durch seine Kinder gestört werden. Genau wie die meisten Menschen bist du genervt von den Kindern und wütend auf den ignoranten Vater.

Irgendwann hast du genug, sprichst den Vater an und sagst ihm, dass er doch bitte seine Kinder beruhigen solle. Der Vater scheint einen Augenblick verwirrt, aber antwortet dann: „Tut mir leid, wir sind noch etwas durch den Wind. Wir kommen gerade aus dem Krankenhaus, wo wir ihre Mutter besucht haben. Die beiden wollten eigentlich noch länger bleiben, aber die Ärzte meinten, das sei im Moment zu anstrengend.“

Durch diese neue Information ändert sich deine Meinung über den Vater und die Kinder wahrscheinlich schlagartig. Obwohl die Kinder sich weiter streiten, bist du nicht mehr genervt, sondern hast plötzlich Mitleid und schämst dich, den Vater so passiv-aggressiv angesprochen zu haben.

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass sich unsere Urteile nicht auf die objektiven Geschehnisse beziehen, sondern durch unsere Interpretation der Welt und unsere emotionalen Reaktionen darauf. Wenn wir zu Geschehnissen (streitende, laute Kinder) noch negative Urteile hinzufügen („Warum tut der Vater nichts dagegen? Er muss ein schlechter Vater sein!“), entstehen Konflikte. Um Streit zu vermeiden, müssen wir diese negativen Urteile vermeiden. Noch wichtiger ist es aber, diese kontraproduktiven Interpretationen möglichst schnell wieder abzulegen, wenn es schon zu einem Konflikt gekommen ist.

Wie wir negative Interpretationen ablegen

Obwohl sich Konflikte nicht vollständig vermeiden lassen, können wir ihre negativen Auswirkungen stark einschränken, indem wir sie konstruktiv und schnell lösen, bevor sie eskalieren. Dabei sind besonders Führungskräfte in der Verantwortung, da sie einen Raum schaffen müssen, in dem das möglich ist.

Emotionen sollten weder unterdrückt noch ungehemmt ausagiert werden. Stattdessen müssen sie reflektiert ausgedrückt werden. Statt herumzubrüllen oder die Wut in uns hineinzufressen, sollten wir sagen: „Ich bin wütend, weil …“.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan, allerdings können wir das Ausdrücken von Emotionen üben, indem wir Schritt für Schritt folgenden Prozess trainieren:

  1. Emotion identifizieren/erkennen. Der erste Schritt ist, zu bemerken, dass wir emotional werden. Das ist der schwierigste Schritt, denn wir dürfen uns nicht von unseren Emotionen mitreißen lassen, sondern müssen einen zumindest teilweise kühlen Kopf bewahren.
  2. Emotion benennen. Wenn wir merken, dass wir emotional werden, besteht der nächste Schritt darin, unsere Emotionen zu erkennen. Sind wir sauer oder auch ein bisschen enttäuscht? Sind wir beleidigt? Es hilft, die Emotionen mit unserer inneren Stimme möglichst genau zu benennen.
  3. Emotion akzeptieren. Sobald wir wissen, was wir spüren, können wir die Emotion akzeptieren. Es ist völlig normal, manchmal wütend zu werden oder beleidigt zu sein. Diese Emotionen sind menschlich und möchten uns auf etwas hinweisen. Wenn wir sie akzeptieren und verstehen, was sie uns sagen wollen, können wir zum letzten Schritt übergehen.
  4. Emotion auflösen. Eine erkannte, benannte und akzeptierte Emotion löst sich automatisch auf. Ihre einzige Aufgabe ist es, uns etwas mitzuteilen. Wenn wir wegen der Aussage eines Kollegen beleidigt sind, könnte unser Unterbewusstsein uns zum Beispiel sagen, dass wir uns von ihm unfair behandelt fühlen. Das Aussprechen unserer Emotionen hilft dabei, diese tieferliegenden Probleme zu lösen.

Nachdem wir diese vier Schritte durchlaufen sind, können wir unsere Emotionen ausdrücken und bei Bedarf erklären, warum wir so fühlen. Das Ausdrücken der eigenen Emotionen löst allerdings nur (potenzielle) Konflikte, die von uns ausgehen. Die Gefühle des Gegenübers sind noch da und auch die Zielkonflikte, die den Streit ausgelöst haben, bestehen noch. An dieser Stelle kommen die Konfliktgespräche ins Spiel.

Konstruktive Konfliktgespräche führen

Konfliktgespräche tragen zur beidseitigen Beilegung von Streitigkeiten und zur Lösungsfindung bei. Bei Konfliktgesprächen sollten beide beteiligten Parteien sowie eine unparteiische Moderation anwesend sein. Das können zum Beispiel Führungskräfte übernehmen, wenn sie nicht selbst in den Konflikt involviert sind. Als Konfliktbeteiligter kann man eine neutrale Partei auch dazu auffordern, ein solches Gespräch zu moderieren.

Das Gespräch orientiert sich an der Klärungshilfebrücke von Dr. Christoph Thomann, von der ich das erste Mal im Buch „Konflikte klären ist Chefsache“ von Barbara Kramer und Frauke Ion gelesen habe. Als Metapher für die Konfliktlösung dient dabei die Überquerung einer Brücke in sieben Phasen:

  1. Vorbereitung. Vor dem Treffen muss der organisatorische Rahmen geklärt werden. Außerdem sollte sich die moderierende Führungskraft inhaltlich damit befassen, worum es im Konflikt geht und welche Meinungen die Beteiligten vertreten. Die Aufgabe der Moderation ist es, von einer in die nächste Phase überzuleiten und eine respektvolle Gesprächsatmosphäre sicherzustellen.
  2. Gesprächseinstieg. Zu Beginn des Gesprächs sollte zügig und möglichst konkret der Grund des Treffens und dessen geplanter Ablauf genannt werden.
  3. Standpunkte darstellen. Zunächst bekommen alle Beteiligten jeweils die gleiche Zeit, um ihre Position ohne Unterbrechungen zu schildern. Die anderen Gesprächspartner hören aktiv zu. Danach kann die Gegenseite Verständnisfragen stellen, bevor sie selbst an der Reihe ist, ihre Sichtweise zu erklären.
  4. Klären der Konfliktthemen im Dialog. In dieser Phase werden die Ursachen des Konflikts geklärt. Am Ende sollten die wichtigsten Themen zusammengefasst werden. Ursachen können zum Beispiel unterschiedliche Erwartungen oder Anforderungen sein.
  5. Lösungen entwickeln. Mindestens 20 % der gesamten Gesprächszeit sollten darauf verwendet werden, nach Lösungen zu suchen und diese schriftlich festzuhalten.
  6. Abschluss. Das Gespräch sollte am Ende kurz reflektiert werden. Außerdem kann ggf. ein Termin für ein Nachgespräch vereinbart werden.
  7. Nachbereitung. Einige Wochen nach dem Gespräch sollte Bilanz gezogen werden, wie sich der Konflikt bzw. die Beziehung der Beteiligten entwickelt hat. Bei Bedarf wird ein neuer Gesprächstermin vereinbart oder die Lösungen werden angepasst.

Dieses Konzept hat sich in meiner persönlichen Erfahrung bewährt. Als Fachschaftsvorsitzender musste ich häufiger Konflikte zwischen Mitgliedern der Fachschaft oder dem Institut klären. Dabei hat mir die Klärungshilfebrücke geholfen, auch wenn ich sie nicht immer explizit angewendet habe: Manchmal reicht es, sich als unbeteiligter Moderator grob an den Phasen zu orientieren, um zu einer Lösung zu gelangen.

Das Ziel der Konfliktlösung im beruflichen Kontext muss nicht sein, dass die Beteiligten beste Freunde werden, sondern dass sie wieder gut miteinander arbeiten können. Es müssen also nicht alle Meinungsverschiedenheiten restlos geklärt werden. Stattdessen muss eine Grundlage für gegenseitigen Respekt, Verständnis und eine konstruktive Zusammenarbeit gebildet werden, damit zukünftige Konflikte nicht mehr eskalieren.