Reflexion ist schon vor Projektbeginn unerlässlich
Die Reflexion der laufenden Projekte ist unerlässlich, egal ob sie beruflicher oder privater Natur sind. Häufig werden Projekte allerdings erst nach ihrem Abschluss rekapituliert, sodass die erarbeiteten Verbesserungsmaßnahmen erst bei zukünftigen Vorhaben ergriffen werden können.
Erfolgreiches Projektmanagement erfordert nicht nur eine angemessene Planung und Aufgabenverwaltung, sondern auch, dass ein Scheitern des Projekts verhindert und Schwierigkeiten bestmöglich vorhergesehen werden. Reflexionen und Rekapitulationen vergangener Fehler sind die wichtigsten Werkzeuge für die Antizipation zukünftiger Herausforderungen. Wenn diese Prozesse allerdings erst nach Projektabschluss stattfinden, können sie Schwierigkeiten nicht mehr rückgängig machen.
Die sogenannte Post-mortem-Analyse findet nach Projektende statt und beschreibt, dass Positives und Negatives zur Erarbeitung von Verbesserungsmöglichkeiten rekapituliert wird. Eine Post-mortem-Analyse ist sinnvoll und führt zu Verbesserungen, allerdings können beim vergangenen Projekt begangene Fehler nicht mehr korrigiert werden. Um im noch laufenden Projekt Anpassungen vorzunehmen, muss bereits früher reflektiert werden, was gut läuft und was nicht.
Projekte müssen demnach schon während ihrer Laufzeit reflektiert werden, beispielsweise beim Erreichen bestimmter Meilensteine oder in festgelegten Zeitabständen. Dies erfordert eine gewisse Flexibilität der Beteiligten, da ggf. im laufenden Projekt Änderungen vorgenommen werden müssen. Dennoch sind die Erfolge von Reflexionen während des Projektablaufs begrenzt, da grundlegende Parameter wie die Projektdauer oder finanzielle Budgets häufig nicht mehr angepasst werden können. Außerdem besteht die Gefahr, dass Fehler nicht mehr umkehrbar sind und die Reflexion auch hier zu spät kommt.
Da sich auch die projektbegleitende Reflexion als unzureichend herausstellt, müssen Projekte schon vor ihrem Beginn rekapituliert werden. Die sogenannte Pre-mortem-Analyse beschreibt, dass man schon vor Projektbeginn darüber nachdenkt, was schieflaufen könnte und wie man auf potenzielle Herausforderungen reagieren würde. Diese Herangehensweise ermöglicht es, Probleme zu antizipieren und von vorneherein zu lösen. Allerdings stellt sich die Frage, wie weit diese Antizipation gehen sollte: Sollte man das Projekt auf jede noch so kleine Eventualität vorbereiten? Eine zu starke Anpassung kann die Vorhaben ineffektiver, teurer und langwieriger gestalten.
Das in diesem Artikel vorgeschlagene Verfahren ist die Antwort auf die Frage, wie weit Antizipation gehen sollte. Vor Projektbeginn sollte man sich auf die drei größten Schwachpunkte konzentrieren. Das Pareto-Prinzip besagt, dass 80 % der Probleme durch 20 % der Schwachpunkte ausgelöst werden. Die drei größten Schwächen sind also für den Großteil der späteren Probleme verantwortlich. Die Reflexion vor Projektbeginn besteht aus fünf Schritten:
- Vor Projektbeginn werden die drei größten Schwächen oder Achillesfersen des Vorhabens identifiziert.
- Diese Schwachstellen werden durch Anpassungen der Projektplanung bestmöglich gelöst oder es wird mindestens ein Bewusstsein für potenzielle Probleme geschaffen.
- Für jede Schwachstelle wird ein objektiver Messpunkt als Alarmsignal festgelegt.
- Es werden im Vorhinein für jedes Alarmsignal Maßnahmen erarbeitet, die bei dessen Erreichen ergriffen werden.
- Während des Projektverlaufs werden die Alarmpunkte regelmäßig überprüft und bei Bedarf die erarbeiteten Maßnahmen, natürlich angepasst auf die tatsächliche Situation, ergriffen.
Diese Vorab-Reflexion lässt sich nicht nur auf einzelne Projekte, sondern auf ganze Organisationen oder Unternehmen anwenden. Die Schwachstellen sind dabei häufig abstrakter als bei einzelnen Projekten und die Gegenmaßnahmen können umfassender gestaltet werden. Allerdings sollten die für sie festgelegten Alarmsignale immer noch konkret und objektiv messbar sein.
Die Vorab-Reflexion unterstützt eine positive Fehlerkultur, die Schwachstellen nicht vertuscht, sondern sie (intern) offenlegt und auf ihre Lösung hinarbeitet. Trotzdem lassen sich damit natürlich nicht alle Probleme lösen und es wird trotzdem weiterhin zu Fehlern kommen.
Um das Vorgehen bei der Vorab-Reflexion zu verdeutlichen, beschreibt der Rest dieses Artikels die exemplarische Anwendung des Prozesses auf ein Projekt der Geografie-Fachschaft. Eine Fachschaft ist die offizielle Vertretung von Studierenden eines Studienfachs an einer deutschen Universität. Ich bin selbst derzeit (August 2024) Vorsitzender der Geografie-Fachschaft meiner Uni. Das Beispielprojekt ist die Organisation der Willkommenswoche für neue Studierende im ersten Semester.
Zuerst müssen die drei größten Schwachstellen des Projekts identifiziert werden:
- Die Kommunikation zwischen dem Organisationsteam der Willkommenswoche und dem Rest der Fachschaft könnte schlecht laufen.
- Das Verstreichen von Fristen (z. B. bei der Uni-Verwaltung oder der Stadt) könnte dazu führen, dass die Veranstaltungen nicht wie geplant durchgeführt werden können.
- Eine unklare Aufgabenverteilung und nicht festgelegte Verantwortlichkeiten im Organisationsteam könnten dazu führen, dass Aufgaben nicht erledigt werden.
Der zweite Schritt integriert diese Schwachstellen in die Projektplanung. Beispielsweise könnten die drei Schwachstellen die Projektplanung folgendermaßen verändern:
- Der Austausch zum Stand der Planung wird auf die Tagesordnung der wöchentlichen Fachschaftssitzung aufgenommen.
- Fristen werden in einen geteilten Kalender für alle sichtbar eingetragen und auf den Fachschaftssitzungen wird an anstehende Fristen erinnert.
- Die Verantwortlichkeiten für einzelne Aufgaben werden digital bzw. schriftlich festgehalten.
Der dritte Schritt legt für die Schwachstellen objektiv messbare Alarme fest:
- Wenn sich die für einen Projektteil verantwortliche Person von der nächsten Fachschaftssitzung abmeldet, müssen Maßnahmen ergriffen werden.
- Wenn eine Frist in weniger als sieben Tagen ansteht und noch kein abgabefertiges Dokument o. Ä. vorhanden ist, müssen Maßnahmen ergriffen werden.
- Wenn einer Aufgabe keine Person (schriftlich) zugewiesen wurde, müssen Maßnahmen ergriffen werden.
Der vierte Schritt legt die konkreten Gegenmaßnahmen fest, die bei Eintreten der Alarme ergriffen werden:
- Der Vorsitzende der Fachschaft fragt bei der verantwortlichen, aber abwesenden Person eine Zusammenfassung des aktuellen Stands ihres Projektteils an, die auf der Sitzung vorgetragen wird.
- Das Dokument, das fristgerecht fertiggestellt werden muss, wird automatisch zur Priorität und auf der nächsten Sitzung werden bei Bedarf Personen festgelegt, die bei der Fertigstellung helfen.
- Auf der nächsten Sitzung wird die Aufgabe einer Person zugeteilt. Bei Zeitdruck weist der Vorsitzende die Aufgabe einer Person zu.
Durch diese Schritte werden nicht alle Schwierigkeiten bei der Planung der Willkommenswoche vermieden. Allerdings ist sichergestellt, dass es für die wichtigsten Schwachstellen Notfallmaßnahmen gibt und dass ein Bewusstsein für potenzielle Probleme besteht. Außerdem wurden die drei wichtigsten Schwachstellen abgemildert, sodass die Reflexion während des Projekts sowie die Post-mortem-Analyse sich auf unvorhergesehene Schwierigkeiten konzentrieren können.